Lieferkettengesetz:Mehr Respekt, bitte

Laali, 11, holds a bloom of cotton plucked from a plant while working with her family in a field in Meeran Pur village, north of Karachi

Baumwollfeld statt Schule: Ein 11-jähriges Mädchen bei der Arbeit in Karachi, Pakistan.

(Foto: Akhtar Soomro/Reuters)

Deutsche Firmen müssen künftig bei der Herstellung ihrer Produkte darauf achten, dass Menschenrechte und Umweltschutz eingehalten werden. Kritikern geht das nicht weit genug.

Von Martina Kind

Jedes Jahr am 24. April schließen sich Millionen Menschen aus aller Welt in den sozialen Netzwerken zusammen, um der Opfer einer Katastrophe zu gedenken, die 2013 an ebenjenem Tag geschah. Die Internet-User zeigen sich auf Fotos oder Videos, in denen sie ihre Kleidung auf links tragen und die Etiketten in die Kamera halten. Sie sind Teil einer Bewegung, deren zentrale Frage lautet: "Who made my clothes?" - wer hat meine Kleidung produziert?

Mehr als 1100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben am 24. April 2013 bei dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, fast 2500 wurden verletzt; mehr als 31 Modelabels, auch aus Deutschland, hatten dort billig Kleidung für den Export fertigen lassen. Kurz nach dem Unglück entstand die globale Protestbewegung "Fashion Revolution", die seither auf die miserablen Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten der Textilindustrie aufmerksam macht und für mehr Transparenz kämpft.

Baumwollernte in Bahia

Baumwollernte in Brasilien. Gerade am Beginn der Lieferketten sind die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards häufig schlecht.

(Foto: Sebastiao Moreira/dpa)

Ganze acht Jahre hat es gedauert, bis sich der Bundestag auf ein Gesetz geeinigt hat, das solche Katastrophen künftig verhindern und die Ausbeutung von Mensch und Natur bei der globalen Produktion von Waren eindämmen soll. Beginnt man die Zeitrechnung mit dem verheerenden Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan, bei dem fast 260 Menschen starben, sind es sogar neun Jahre.

Das am 11. Juni verabschiedete Lieferkettengesetz nimmt Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland nun in die Pflicht, auch bei ihren ausländischen Zulieferern für die Einhaltung von sozialen und ökologischen Mindeststandards zu sorgen. "Wer ein T-Shirt made in Germany kauft, muss sicher sein, dass dafür keine Arbeiter ausgebeutet wurden und erst recht keine Kinder arbeiten mussten", forderte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der das Gesetz gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorangetrieben hat. Ein zweites Rana Plaza dürfe es nicht geben.

Das Lieferkettengesetz wird auch Thema der Frankfurter Modewoche sein

Von 2023 an sollen zunächst Unternehmen mit mindestens 3000 Mitarbeitenden ihre gesamte Lieferkette im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein; ab 2024 sinkt die Grenze dann auf 1000 Mitarbeitende. Während die Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich sowie für unmittelbare Zulieferer in vollem Umfang gelten, müssen die Unternehmen bei mittelbaren Zulieferern nur dann aktiv werden, wenn bei ihnen Verstöße bekannt werden. In dem Fall sind sie aufgefordert, diese sofort zu prüfen und abzustellen. Tun sie das nicht, drohen ihnen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Umsatzes; bei schweren Verstößen gegen das Gesetz können sie bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Ob die Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten tatsächlich nachkommen, soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) überwachen. Darüber hinaus können Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen bei Menschenrechtsverletzungen und Schäden, die durch Umweltzerstörung entstanden sind, im Namen ausländischer Geschädigter vor deutschen Gerichten klagen.

A labourer works at a garment factory in Bangkok

Eine Fabrikarbeiterin in Bangkok in Thailand. Das Lieferkettengesetz soll zu mehr Schutz von Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft führen.

(Foto: Athit Perawongmetha/Reuters)

Das Lieferkettengesetz wird auch Diskussionsthema bei der Premiere der Frankfurt Fashion Week sein, die vom 5. bis 9. Juli digital stattfindet. Die Modewoche hat sich Großes vorgenommen: "die Modeindustrie auf internationalem Level nachhaltiger zu machen", wie es in einer Mitteilung heißt. Dafür will sie in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (UN) eine Plattform bieten. Auf dem "Frankfurt Fashion SDG Summit" sollen künftig einmal im Jahr Vertreter der Branche, der Vereinten Nationen, der Politik, Wissenschaft und des öffentlichen Lebens zusammenkommen, "um das Bewusstsein für die nachhaltigen Entwicklungsziele weiter zu schärfen", sagt Detlef Braun, Geschäftsführer der Messe Frankfurt, der zusammen mit Anita Tillmann, Geschäftsführerin der Premium-Group, Initiator der Frankfurter Modewoche ist. Als viertgrößte Branche der Welt sei die Mode- und Textilindustrie eine der einflussreichsten, wenn es darum gehe, die 17 Entwicklungsziele der UN zur Nachhaltigkeit zu erreichen. "Es ist unser Anspruch, dass die Frankfurt Fashion Week eine aktive Rolle dabei spielt, die Ziele der internationalen Politik zu unterstützen", so Braun. Auch bei der Modewoche wird 2023 das Stichjahr sein - bis dahin müssen sich alle Aussteller der Modemessen Premium, Seek und Neonyt zu den 17 Nachhaltigkeitszielen bekennen.

Während sich die Frankfurt Fashion Week nur als neutrale Plattform für Gespräche rund um das Lieferkettengesetz versteht, befürworte ihre Messe Neonyt für nachhaltige Mode die neuen Regelungen explizit, sagt Thimo Schwenzfeier, Show Director der Neonyt. "Gleichwohl ist das Gesetz aus unserer Sicht an einigen entscheidenden Stellen zu sehr abgeschwächt worden." Nichtregierungsorganisationen und Umweltschutzverbände monieren, dass die von Müller und Heil ursprünglich geplante zivilrechtliche Haftungsregel fehle, wonach Unternehmen für die Schäden haften, die sie durch die Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben - sie war auf massiven Druck einiger Wirtschaftsverbände gestrichen worden. "Geschädigte sind weiterhin so gut wie chancenlos, wenn sie deutsche Unternehmen vor deutschen Zivilgerichten wegen Menschenrechtsverstößen zur Verantwortung ziehen wollen", beklagt Johanna Kusch, Koordinatorin des zivilgesellschaftlichen Bündnis "Initiative Lieferkette".

Die Risiken steigen mit der Zahl der Lieferanten

Als problematisch gilt zudem, dass die Unternehmen nur bei "substantiierter Kenntnis" über menschenrechtliche Verletzungen Risikoanalysen durchführen müssen. Doch gerade am Beginn globaler Lieferketten herrschen katastrophale Arbeitsbedingungen; dort ereignen sich die meisten Umweltrisiken und Menschenrechtsverletzungen. Mithin greife das Gesetz in seiner jetzigen Form zu kurz. "Hier muss unbedingt nachgebessert werden, damit sich im globalen Süden tatsächlich etwas ändert", fordert Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland.

Coronavirus - Maskenpflicht in Hamburg

Ein Kleidungsstück durchläuft oft viele Stationen, bis es zum Verkauf im Laden hängt.

(Foto: Daniel Reinhardt/picture alliance/dpa)

Wie groß die Risiken solcher nachhaltiger Faktoren für mittelständische Unternehmen sind, ließe sich nicht genau sagen, erklärt Martin Faust von der Frankfurt School of Finance & Management. Dass aber weitreichende Risiken für die Reputation bestehen, habe die Vergangenheit gezeigt. Schließlich seien die Risiken auch von der Zahl der unmittelbaren und mittelbaren Lieferanten und ihren Standorten abhängig. "In Europa und den USA dürften sie grundsätzlich geringer sein als in Asien, Südamerika und Afrika", sagt Faust. Bei einer guten Risikobewertung sollten laut Faust keine finanziellen Schäden entstehen. Für die Auswahl, Vertragsgestaltung und die Bewertung der Lieferanten müssten die Unternehmen aber zukünftig mehr Zeit und auch Kosten aufwenden, meint Faust.

Wirtschaftsverbände sprechen von einem Bürokratiemonster

Wirtschaftsverbände haben von Anfang an gegen das Lieferkettengesetz aufbegehrt. Von einem "Bürokratiemonster" spricht Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie. Ein einfaches Herrenhemd durchlaufe 140 Stationen "vom Baumwollfeld bis zum Bügel"; ein mittelständiges Unternehmen, das in Deutschland Hemden verkaufe, könne wohl kaum alle Stufen der Lieferkette kontrollieren. Überdies schwäche das Gesetz die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Industrie, fürchtet Mazura. "Den Arbeitgebern sollen Pflichten auferlegt werden, die viele europäische und internationale Mitbewerber nicht haben." Widerstand regt sich auch aufgrund der Zusatzkosten, die die neue Regelung verursache. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMWi) wiegelt dagegen ab. Zum einen sorge das Lieferkettengesetz vielmehr für Wettbewerbsgleichheit unter deutschen Unternehmen. Zum anderen sei die Kontrolle der gesamten Lieferkette durchaus machbar; wie es gehe, machten einige beispielhafte Firmen schon lange vor. Und was die finanzielle Mehrbelastung betreffe: Nach einer Studie im Auftrag der EU-Kommission sollen diese überschaubar bleiben. Für große Unternehmen sollen sich die Kosten auf durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Gewinne belaufen, für kleine und mittlere auf 0,07 Prozent.

Demonstration für wirksames Lieferkettengesetz

Teilnehmer von Hilfs- und Umweltschutzorganisationen demonstrierten im September 2020 vor dem Bundeskanzleramt für ein Lieferkettengesetz.

(Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)

Am Ziel ist man mit dem deutschen Lieferkettengesetz aber ohnehin noch nicht. Als nächster Schritt müsse eine Regelung auf Ebene der Europäischen Union (EU) erfolgen, heißt es vonseiten des BMWi. "Das deutsche Lieferkettengesetz kann eine Blaupause für eine Regelung auf Ebene der EU sein", so ein Sprecher. Die Hoffnung auf ein deutlich strengeres Lieferkettengesetz ist unter den Befürwortern groß. Im März dieses Jahres stimmte eine große Mehrheit im EU-Parlament für weitreichende Sorgfaltspflichten innerhalb der gesamten Lieferketten, die für alle europäischen Unternehmen gelten sollen, unabhängig von ihrer Größe. Die Abgeordneten forderten außerdem, dass Unternehmen auf Schadensersatz für Menschenrechts- und Umweltverstöße verklagt werden können. Eigentlich wollte die EU-Kommission ihren Gesetzesentwurf Mitte Juni präsentieren. Nun wurde die Entscheidung über den Text allerdings auf September vertagt; die Vorlage erfordere mehr Bedenkzeit. Wieder ist der Druck der Wirtschaftslobby groß.

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