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Studie über Werte und Sorgen junger Menschen Optimistisch, hohe Erwartungen – und schwer gestresst

14- bis 29-Jährige in Deutschland leiden stark unter Stress, zeigt eine Jugendstudie. Die Untersuchung vergleicht die Werte erstmals mit denen älterer Generationen. Diese sind zwar deutlich pessimistischer – stecken Krisen aber besser weg.
Teenagerin im Gras (Symbolbild)

Teenagerin im Gras (Symbolbild)

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Fiordaliso / Moment RF / Getty Images

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Die junge Generation fühlt sich durch die Folgen von Coronapandemie, Klimakrise, Krieg in der Ukraine und hoher Inflation stärker belastet als die mittlere und ältere Generation. Das geht aus der aktuellen Trendstudie »Jugend in Deutschland 2023« hervor, die am Dienstag veröffentlicht wurde und für die Forscher rund tausend Menschen pro Generationskohorte online befragten.

Demnach gibt fast die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen an, unter Stress zu leiden. Bei den 50- bis 69-Jährigen ist es nur ein Fünftel. Ein ähnlicher Unterschied zeigt sich bei anderen psychischen Belastungen wie Erschöpfung, Selbstzweifeln und Gereiztheit. Die Werte der jungen Generation seien sehr hoch und im Vergleich zu früheren Erhebungen noch mal gestiegen, sagt Jugendforscher und Co-Autor der Studie, Klaus Hurrelmann.

»Junge Menschen fühlen sich wie in einem Dauerkrisenmodus, der weiter anhält und psychische Narben hinterlässt«, sagt Simon Schnetzer, der die Studie halbjährlich zusammen mit Hurrelmann veröffentlicht. Die aktuelle Untersuchung berücksichtigte erstmals ältere Vergleichsgruppen. »Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind viel geringer, als im Allgemeinen vermutet wird«, schreiben die Autoren. »Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein.«

Die verschiedenen Generationen stimmten bei der Antwort auf die Frage »Welche Werte sind dir besonders wichtig?« in entscheidenden Punkten weitgehend überein, heißt es in der Trendstudie. Die ältere Generation räumt allerdings der Gesundheit größere Priorität ein. Das erklären die Autoren mit zunehmenden körperlichen Einschränkungen und Erkrankungen im höheren Alter. Auch finden die älteren Befragten die Demokratie deutlich wichtiger als jüngere. Die Autoren deuten das als ein Anzeichen von Politikverdrossenheit der jüngeren Generationen aufgrund der Erfahrungen in der Pandemie.

Die 18-jährige Nour Idelbi, die sich selbst politisch engagiert, trug bei der Vorstellung der Studie ihre persönlichen Einschätzungen dazu vor. Das vermeintliche Desinteresse an Demokratie habe damit zu tun, dass Jüngere die Staatsform als so fest erlebten, dass sie nicht dafür einstehen müssten, sagte die Schülerin.

Besonders deutlich sind die Unterschiede zwischen den Generationen laut der Studie, wenn es um den Blick auf die Zukunft geht: Jugendliche und junge Erwachsene sind demnach viel optimistischer als die Über-30-Jährigen und haben positive Erwartungen an ihre eigene Zukunft. Sie gehen »offenbar von der Einschätzung aus, dass sie es mit ihrem Schwung und ihrer Flexibilität« schon schaffen, die Herausforderungen zu meistern, heißt es in der Untersuchung.

Demgegenüber sei die älteste Bevölkerungsgruppe abgeklärter, blicke pessimistischer und sorgenvoller in die Zukunft, mache sich dadurch aber gewissermaßen krisenfest und stelle sich innerlich auf eine Verschlechterung ein, analysieren die Autoren. Damit erklären sich die Studienmacher auch, weshalb die junge Generation viel stärker mit Belastungs- und Erschöpfungsgefühlen auf die Krisen der Zeit reagiert.

Die Ängste der Bürgerinnen und Bürger unterscheiden sich zwischen den Generationen kaum: »Die Sorgen sind sehr ähnlich, aber sie belasten unterschiedlich«, fasst Studienautor Schnetzer zusammen. Relevante Unterschiede zeigten sich vor allem bei der Klimafrage, welche die Jüngeren stärker belastet, und bei der Sorge vor Altersarmut, welche die Älteren mehr beschäftigt.

Bei Fragen nach der persönlichen Situation zeigte sich die jüngere Generation besonders unzufrieden mit der eigenen finanziellen Lage. In dieser Frage habe man laut Studie »einen neuen Tiefpunkt« erreicht. Die Befragten seien bei dem Aspekt pessimistisch und bewerteten die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland als ziemlich schlecht. Das habe sich auch bei der Vorgängerstudie schon deutlich gezeigt. Viele junge Leute sind offenbar überzeugt, dass sie den Lebensstandard ihrer Eltern nicht aufrechterhalten können werden, die Wohlstandsjahre seien vorbei.

Trotzdem schätzen junge Menschen ihre eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt laut der Erhebung als sehr gut ein. Es sei ein Mythos, dass die Jugend faul sei. Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft waren in allen drei befragten Generationen stark ausgeprägt. Nur was sie zum Arbeiten motiviere, unterscheide sich, heißt es in der Studie.

Im Vergleich der Generationen ließen sich die 30- bis 49-Jährigen mit Geld und Spaß am meisten für Leistung motivieren, schreiben die Autoren. Bei den Jungen sei der Faktor Bezahlung am wichtigsten, wie schon bei der Erhebung vor einem Jahr. Den Jüngeren sind außerdem eine gute Arbeitsatmosphäre, gute Vorgesetzte und die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtig. Auffällig sei, dass 40 Prozent der jungen Erwerbstätigen angeben, sich für einen Jobwechsel zu interessieren. Sie hätten hohe Erwartungen an sich selbst, interpretieren die Wissenschaftler.

Informationen zur Studie »Jugend in Deutschland«

»Junge Leute setzen sich damit unter Druck«, sagt Jugendforscher Hurrelmann. »Sie setzen sich hohe Ziele, und daran kann man scheitern«. Beim Stress der Jugend müsse man bedenken, dass die Lebensplanung mittlerweile äußerst komplex sei. Jugendliche stünden am Ende ihrer Schulzeit oft ratlos vor unendlich vielen Optionen, »das verunsichert«, sagt Hurrelmann. Dazu kämen noch die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage und nicht zuletzt die Belastung durch die drei Coronajahre, »das dürfen wir nicht unterschätzen«.

Studienleiter Schnetzer fordert deshalb, psychische Unterstützungsangebote in Schulen, Hochschulen und Unternehmen schnell auszubauen, »damit es bei den besonders belasteten jungen Menschen nicht zu einer Verfestigung von Depressionen, Suchtverhalten und Isolation kommt«.