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Abschlussbericht zur US-Ölpest "Vorhersehbar und vermeidbar"

In ihrem Abschlussbericht zur Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon" kommt die Kommission zu einem verheerenden Schluss. Alle Beteiligten sind mitverantwortlich: BP, Transocean, Halliburton und die US-Regierung. Ändern wird sich freilich wenig - die Branche bleibt politisch unbehelligt.
Abschlussbericht zur US-Ölpest: "Vorhersehbar und vermeidbar"

Abschlussbericht zur US-Ölpest: "Vorhersehbar und vermeidbar"

Foto: REUTERS/ US Coast Guard

Die Katastrophe kündigte sich an. Schon in der Woche zuvor ahnten die Experten auf der BP-Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko Probleme. Wichtige Bauteile zur Abdichtung ihrer Bohrstelle - die sogenannten "Centralizer" - passten nicht oder fehlten ganz. Also beschloss BP, darauf zu verzichten und sich mit dem zu begnügen, was vorhanden war.

"Was soll's", schrieb BP-Ingenieur Brett Cocales in einer E-Mail an seinen Kollegen Brian Morel lakonisch. "Ende der Geschichte, wahrscheinlich wird's hinhauen."

Datum der E-Mail: 16. April 2010. Vier Tage später explodierte das Bohrloch und mit ihm die "Deepwater Horizon". Elf Arbeiter starben. Fünf Monate lang floss Rohöl in den Golf - das größte Umweltdesaster in der Geschichte der USA.

Halliburton

Besagte E-Mail von Cocales findet sich jetzt auf Seite 116 des 380 Seiten starken Abschlussberichts, den die von US-Präsident Barack Obama eingesetzte Untersuchungskommission zu der Katastrophe vorlegte. Der Report ist ebenso verheerend wie allumfassend. Keiner kommt ungeschoren davon. Weder BP und seine Vertragspartner und Transocean - noch die Aufsichtsämter der US-Regierung.

BP hatte die "Deepwater Horizon" von Transocean geleast. Halliburton hatte den Zement zur Bohrloch-Abdichtung geliefert.

"Das 'Deepwater Horizon'-Unglück war vorhersehbar und vermeidbar", schreibt das siebenköpfige Gremium, das vom Demokraten Bob Graham, dem Ex-Gouverneur Floridas, und dem Republikaner William Reilly, dem früheren Chef der Umweltbehörde EPA, geleitet wurde. "Irrtümer und Fehleinschätzungen der drei großen Bohrkonzerne - BP, Halliburton, und Transocean - spielten Schlüsselrollen bei dem Desaster. Die Aufsicht durch die Regierung war unwirksam."

Ein halbes Jahr lang war die Kommission den Ursachen und Folgen der Ölkatastrophe auf den Grund gegangen. Sie hielt sechs offene Anhörungen ab, die erste im Juli 2010 in New Orleans, der am schwersten betroffenen Stadt. Sie hatte jedoch keinerlei Zwangsmittel zur Vorladung - die Zeugen traten freiwillig auf, andere verweigerten lieber die Aussage.

Scheitern des Staates

Das Urteil war trotzdem vernichtend - und einstimmig. Die Experten - darunter Frances Beinecke, die Chefin der Umweltgruppe Natural Resources Defense Council, Terry Garcia, Vizepräsident der National Geographic Society, sowie drei Universitätsprofessoren - verteilten die Verantwortung auf alle Beteiligten gleichermaßen und sparten vor allem auch die staatlichen Behörden bei ihrem Zorn nicht aus. "Das 'Deepwater Horizon'-Desaster musste nicht passieren", sagte Graham. "Unsere Regierung ließ es geschehen."

"Diese Tragödie ist ein Weckruf für die Energieindustrie und unsere Regierung", sagte Garcia. Kollege Reilly prangerte eine "Kultur der Gleichgültigkeit" in der Branche und bei deren Aufsehern an: "Es wurde schockierend schnell klar, dass die Industrie Milliarden auf die Technologie für Tiefwasserbohrung verwandte, aber so gut wie nichts ausgab, um einen Plan B für die gänzlich absehbaren Konsequenzen einer enormen Ölkatastrophe zu schaffen."

Akribisch zeichnet die Kommission Vorlauf, Hergang und Konsequenzen der Katastrophe nach. Sie bestätigt damit Recherchen, die bisher nur von den Medien getätigt worden waren, allen voran von der "New York Times", die dazu im Dezember ein großes Dossier veröffentlicht hatte. Die Explosion, so das Fazit des Berichts, "war das Produkt von menschlichem Fehlverhalten, Ingenieursfehlern und Managementversagen". Die Schuld liege nicht bei "einer einzigen, skrupellosen Firma". Vielmehr offenbarten sich massive Managementfehler der größten Branchenakteure.

Hinzu komme das völlige "Scheitern" der staatlichen Aufsichtsbehörden, heißt es weiter. Der für die Ölbohrsparte zuständige Minerals Management Service (MMS), eine Abteilung des Innenministeriums, sei zu unterfinanziert, um die brisante Offshore-Industrie angemessen zu überwachen. "Sowohl die Branche wie die Regierung waren unvorbereitet auf eine solche Tiefwasser-Bohrlochexplosion."

Ähnliche Probleme nur wenige Monate zuvor

Den Verzicht auf die "Centralizer" zur Abdichtung des Bohrlochs wollte die Kommission zwar nicht als "direkte Ursache" der Katastrophe herausheben. Doch illustriere diese Episode "die Mängel im Management und bei den Planungsabläufen von BP sowie die schlechte Kommunikation zwischen BP und Halliburton". Das Bohrloch sei explodiert, weil Risiken vernachlässigt worden seien, um Zeit und Geld zu sparen - "bis die Explosion unvermeidlich und schließlich unkontrollierbar war".

Der Bericht - der so begehrt war, dass die Website der Kommission am Dienstag zeitweise zusammenbrach - erschreckt auch mit anderen Details. So sei auf einer Transocean-Bohrplattform in der Nordsee schon am 23. Dezember 2009 ein Missgeschick passiert - ein "gespenstisch ähnlicher Beinahe-Unfall" wie der vier Monate später im Golf von Mexiko. "Die grundlegenden Fakten beider Vorfälle sind dieselben." Wäre die Crew der "Deepwater Horizon" rechtzeitig gewarnt worden, hätten sich die Dinge womöglich anders abgespielt.

Auch der Schaden durch das auslaufende Öl ist nach Ansicht der Kommission wesentlich größer und weitreichender als oft dargestellt. "Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Umweltfolgen vollständig eingeschätzt sind", sagte Reilly. Mehr als 750 Millionen Liter Öl seien ausgeflossen. "Teile davon bleiben weiterhin im Ozean und haben sich möglicherweise auf dem Meeresboden festgesetzt." Die ohnehin belasteten Ressourcen der US-Golfküste seien dadurch noch schwerer beeinträchtigt worden - von den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen für die Anwohner und die Fischerei- und Tourismusbranche ganz zu schweigen.

Doch "es hätte noch viel schlimmer kommen können", heißt es in dem Bericht. Washington habe zwar spät reagiert, doch dann angemessen. "Dies war nicht Obamas 'Katrina'", sagte Reilly in Anspielung auf den Hurrikan "Katrina", der 2005 für Obamas Vorgänger George W. Bush zum politischen Desaster geworden war.

Ölindustrie kritisiert Kommissionsbericht

Die Kommission empfahl die Bildung einer "unabhängigen Sicherheitsbehörde" für die Ölbranche. "Unsere Aufseher waren immer wieder überfordert", sagte Graham. Das habe vor allem an internen Budgetkürzungen gelegen: "Umsatz übertrumpfte Sicherheit." Auch müsse der Wissenschaft mehr Mitspracherecht gegeben werden.

Ob sich die Branche und der gespaltene US-Kongress darauf einlassen, ist allerdings fraglich. Schon kritisierte Halliburton die Kommission scharf: Sie habe "Informationen, die wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, selektiv weggelassen". Der Konzern schob die Hauptverantwortung für die Katastrophe BP zu.

Auch die Öl-Lobby American Petroleum Institute (API) bezweifelte die Richtigkeit der Berichtsergebnisse. "Die Explosion war ein tragischer Unfall", erklärte API-Direktor Erik Milito. "Das API ist zutiefst besorgt, dass der Bericht der Kommission eine gesamte Industrie aufgrund ihrer Studie eines einzelnen Vorfalls in Zweifel zieht." Die Branche habe längst "bedeutsame Schritte zur Verbesserung der Sicherheit" unternommen.

Erst vorige Woche hatte API-Präsident Jack Gerard in Washington eine Grundsatzrede gehalten, in der er die wirtschaftliche und politische Agenda der Branche auflistete - expandierte Produktion, lockere Regulierung, höhere Umsätze. Das werde aber nur gehen, "wenn Politiker einen Kurs der Gelegenheit und Gewissheit vorzeichnen", sagte er mit kaum verhohlener Drohung - etwa durch politisch vereinfachteren "Zugang" zu den Ölreserven Amerikas.

Mit im Publikum: der republikanische Kongressabgeordnete Fred Upton, der neue Vorsitzende des wichtigen Energieausschusses. Upton ist ein dicker Freund der Ölbranche - und ein erklärter Feind der Umweltbehörde EPA. API-Chef Gerard versicherte er nach dessen Rede, er habe bereits einen ersten Tagesordnungspunkt für seinen Ausschuss: Die von Obama einst gestoppten Bohrungen im Golf von Mexiko sollen schnellstmöglich wieder aufgenommen werden.