Mehr als ein Drittel der Mitarbeitenden geht regelmäßig krank zu Arbeit. Der Präsentismus scheint von Arbeitgebenden hingenommen zu werden – kann aber Risiken mit sich ziehen.

Kranke Beschäftigte dazu zu verpflichten, die Arbeit niederzulegen – das ist für Arbeitgeber nur schwer möglich. Und das obwohl Unternehmen eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden haben. Zum Problem wird das aber in den wenigsten Fällen. Denn sowohl Beschäftigte als auch Arbeitgeber scheinen es nicht als Risiko zu sehen, wenn Mitarbeitende im kranken Zustand ihrer Tätigkeit nachgehen. Ist das sinnvoll?
Krankenstand so hoch wie noch nie zu vor

Der Krankenstand erreicht im zweiten Jahr in Folge ein Rekordhoch (DAK-Gesundheitsreport). Das Rekordhoch hat dabei sogar so hohe Auswirkungen, dass dieses laut der noch unveröffentlichten Studie des forschenden Pharma-Unternehmen VFA, den wirtschaftlichen Wachstum Deutschlands beeinflusst hat (Spiegel). Ohne die überdurchschnittlichen Krankheitstage wäre Deutschlands Wirtschaft in 2023 nämlich um 0,5 Prozent gewachsen und nicht um 0,3 Prozent gefallen.

Die hohen Krankenstände beeinflussen nicht nur Deutschland als großes Ganzes, sondern die daraus resultierenden Konsequenzen spüren auch Unternehmen im eigenen Betrieb. Daraus ergeben sich für Unternehmen zwei Probleme: Mitarbeitende fallen aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit aus oder aber sie erscheinen krank beziehungsweise noch nicht vollständig genesen am Arbeitsplatz. Letzteres taten 2023 rund 34 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie eine Studie der Krankenkasse Pronova BKK zeigt. Darunter waren auch an Corona-Erkrankte (12 Prozent). Was viel erscheint, hat sich im Vergleich zu vor fünf Jahren stark verringert. Zwischen 2018 und 2021 gingen noch 50 Prozent der Beschäftigten krank zu Arbeit (Techniker und IFBG). Eine Entwicklung, über die sich auch der Arbeitgeber freuen sollte.

Präsentismus schadet Mitarbeitenden und dem Unternehmen

Laut der Studie „Präsentismus – Ein Review zum Stand der Forschung“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fehlen Arbeitnehmerinnen und -nehmer, nachdem sie zunächst Fehlzeiten durch ihr Erscheinen auf der Arbeit „eingespart“ haben, danach meist für einen umso längeren Zeitraum. Zudem erhöht sich das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von betroffenen Personen, die trotz Krankheit auf der Arbeit erschienen sind. Durch Präsentismus leidet folglich zum einen die Gesundheit des Mitarbeitenden, zum anderen die Planung des Unternehmens.

Wenn Beschäftigte krank auf der Arbeit erscheinen, kann dies weitere Nachteile mit sich ziehen. Sie sind nur eingeschränkt leistungsfähig, machen mehr Fehler oder können Kollegen und Kolleginnen anstecken und so noch mehr Arbeitsausfälle verursachen. Letztendlich kosten sogenannte „Präsentisten“ das Unternehmen mehr Geld, als Menschen, die sich zu Hause richtig auskurieren. Wie können Arbeitgeber nun aber verhindern, dass kranke Beschäftigte zur gesundheitlichen Gefahr für ihre Kolleginnen und Kollegen sowie zum wirtschaftlichen Risiko fürs Unternehmen werden?

Hybrides Arbeiten kann hohem Krankenstand entgegenwirken

Zunächst kann hierbei ein effektives Betriebliches Gesundheitsmanagement helfen. Damit können Arbeitgeber im besten Fall vorbeugen, dass die Mitarbeitenden oft krank werden. Einzelne Untersuchungen verweisen auch darauf, dass hybrides Arbeiten die Gesundheit der Beschäftigten verbessern kann. Das zeigt auch eine Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linkspartei. Menschen, die 2021 gelegentlich im Homeoffice arbeiteten, hatten durchschnittlich weniger Krankheitstage (7,9 Fehltage) als diejenigen, die vor Ort tätig sein mussten (12,9 Fehltage). Laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin scheinen Arbeitnehmerinnen und -nehmer außerdem generell zufriedener zu sein, wenn sie aus dem Homeoffice arbeiten können, als Mitarbeitende, die von zu Hause aus tätig sein wollen, es aber nicht können.

Können Arbeitgeber auch arbeitsrechtliche Schritte einleiten, um Präsentismus und seine Risiken zu vermeiden? Wir haben bei Dr. Alexander Bissels, Rechts- und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner, aus der Kanzlei CMS Hasche Sigle nachgefragt.

Personalwirtschaft: Herr Bissels, hat ein Arbeitgeber ein Recht darauf, offensichtlich kranke Mitarbeitende dazu zu verpflichten, sich krankschreiben zu lassen?

Alexander Bissels: Grundsätzlich hat der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf, dass sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin krankschreiben lässt. Der Arbeitgeber kann die besagte Person aber in bestimmten Fällen zu einer ärztlichen Untersuchung verpflichten. Etwa, wenn ernsthafte Zweifel daran bestehen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen Gründen die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen kann.

Macht es hier einen Unterschied, ob ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin vor Ort ist oder im Homeoffice arbeitet?

Arbeitet die erkrankte Person mit Kollegen und Kolleginnen oder Kunden zusammen und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie diese ansteckt, sollte der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht – insbesondere mit Blick auf die bislang nicht erkrankten Beschäftigten – nachkommen und die betroffene Person nach Hause schicken. Im Homeoffice ist eine Ansteckung natürlich ausgeschlossen.

Und wenn die besagte Person uneinsichtig ist und nicht nach Hause gehen möchte? Was kann ein Arbeitgeber dann tun?

Im Zweifel kann der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung verweigern und den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin mit der Begründung, er oder sie sei arbeitsunfähig erkrankt, nach Hause schicken. Theoretisch könnte der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin dann aber den eigenen Anspruch auf Beschäftigung geltend machen. Das kommt in der Praxis allerdings nur selten bis gar nicht vor.

Und wenn sich Mitarbeitende bei einem offensichtlich kranken Kollegen angesteckt haben, weil dieser vom Arbeitgeber nicht nach Hause geschickt wurde? Können Betroffene den Arbeitgeber dafür verklagen?

Ja, dies ist grundsätzlich möglich, allerdings sind Schadensersatzansprüche oftmals schwierig durchzusetzen. Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin muss zum einen beweisen, dass der Arbeitgeber pflichtwidrig gehandelt hat und diese Pflichtverletzung ursächlich für die Ansteckung war. Zum anderen muss er oder sie – mit Blick auf eine Haftungsprivilegierung im Unfallversicherungsrecht – im Zweifel auch beweisen, dass sowohl die Verletzungshandlung als auch der Verletzungserfolg vorsätzlich waren. Dies dürfte in der Praxis jedoch nur ausgesprochen selten gelingen.

Quelle: Personalwirtschaft.de

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