70.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland: Ärzte warnen – diese Gesundheitsgefahren von Feinstaub werden unterschätzt

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

1. März 2023

Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Risiko für die Gesundheit der Menschen in Deutschland und in Europa. Die größte Belastung entsteht dabei durch Feinstaub, allein in Deutschland führt das pro Jahr zu 70.000 vorzeitigen Todesfällen, erklärte Prof. Dr. Barbara Hoffmann MPH, Universität Düsseldorf, auf einem Pressebriefing der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und der Health and Environment Alliance (HEAL) [1].

Zurzeit wird die EU-Luftqualitätsrichtlinie überarbeitet, die EU-Kommission hat im Oktober 2022 ihre Vorschläge dazu unterbreitet. Doch die WHO-Empfehlungen werden darin nur unzureichend berücksichtigt, kritisieren KLUG, HEAL und die BÄK. Feinstaub – so der Tenor der Experten – ist eine noch immer unterschätzte Gesundheitsgefahr.

„Unverändert stellt die Feinstaubbelastung ein großes gesundheitliches Risiko dar – und zwar ein Risiko, das wenig gespürt wird, weil man Feinstaub weder sieht, meistens auch nicht riecht und meist auch nicht unmittelbar spürt“, betonte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Die Auswirkungen von Feinstaub, so Reinhardt, zeigten sich meist erst mit großer zeitlicher Verzögerung. Das führe dazu, dass der Zusammenhang nicht wirklich wahrgenommen werde.

Kleine Feinstaubpartikel gelangen bis in die Lungenbläschen

Die 4 großen Quellen für Feinstaub in Europa sind Verkehr, Industrie und Energieerzeugung, Landwirtschaft und Heizung. Feinstaubpartikel wie PM (particulate matter) 2,5 (< 2,5 μm) oder PM 10 (<10 μm) sind deutlich kleiner als ein menschliches Haar (50 bis 70 μm). Ultrafeinstaub bzw. ultrafeine Partikel (UFP) haben einen Äquivalentdurchmesser von weniger als 0,1 µm. Oft bleiben diese Partikel mehrere Wochen in der Luft.

 
Ultrafeinstaub kann sogar durch die Lunge bis ins Blut gelangen und wird darüber in alle Organe transportiert. Prof. Dr. Barbara Hoffmann
 

„Die kleinen Partikel kommen bis in die Lungenbläschen. Ultrafeinstaub kann sogar durch die Lunge bis ins Blut gelangen und wird darüber in alle Organe transportiert“, erläuterte Hoffmann. Und fügte hinzu: „Hier in Berlin atmen wir mit jedem Atemzug ungefähr 2 bis 3 Millionen Partikel in die Lunge ein.“ Feinstaub löst in der Lunge oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen aus, Botenstoffe und Partikelanteile gelangen ins Blut und darüber in sämtliche Organe. Dort zeigen sich sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen.

Eine Literaturrecherche in PubMed von Hoffmann und Kollegen aus 2019 zeigt, dass Luftschadstoffe sich auf den gesamten Körper auswirken: von der menschlichen Entwicklung im Mutterleib bis zu vorzeitigem Tod vor allem aufgrund von Lungen- und Herzerkrankungen. Die krebsauslösende Wirkung von Feinstaub gilt inzwischen als gesichert. Zudem bestehen Assoziationen zwischen erhöhter Feinstaubbelastung und Typ-2-Diabetes.

So war die Inzidenz für Typ-2-Diabetes in einer Metaanalyse von Kohortenstudien mit erhöhten Feinstaubwerten verbunden, wobei eine relative Risikoerhöhung um 25% pro 10 µg/m3 PM 2,5 bestand. Wie Hoffmann berichtete, weisen neuere Studien darauf hin, dass diese Schadstoffe auch unterhalb der gegenwärtig geltenden Grenzwerte schon zu Schäden führen.

Gesundheitliche Auswirkungen bereits unterhalb der Richtwerte

„Weltweit ist Luftverschmutzung der viertwichtigste Grund für frühzeitigen Tod, wird lediglich übertroffen von hohem Blutdruck, Rauchen und schlechter Ernährung“, so Hoffmann. Sie verweist auf die Luftqualitätsleitlinien der WHO aus 2021, in denen die maximale Belastung, die auf Menschen einwirken sollte, definiert ist. Die WHO berücksichtigt dabei nur die Schadstoffe, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang mit Krankheiten zweifelsfrei nachgewiesen ist.

 
Wir wissen, dass es auch unterhalb dieser Richtwerte Effekte auf die Gesundheit gibt. author
 

„Die Richtwerte der WHO sind keine Schwellenwerte unterhalb derer die Schadstoffe harmlos sind, sondern es handelt sich dabei um Konzentrationen oberhalb derer schwerwiegende Gesundheitseffekte mit großer Sicherheit nachzuweisen sind“, stellte Hoffmann klar und fügte hinzu: „Wir wissen, dass es auch unterhalb dieser Richtwerte Effekte auf die Gesundheit gibt“. Diese allerdings seien noch nicht mit der gleichen großen Sicherheit nachzuweisen.

Große Feinstaubpartikel nehmen ab, kleine und ultrafeine nehmen zu

Hoffmann sieht eine „riesige Diskrepanz“ zwischen den Empfehlungen der Wissenschaft und derzeitigen gesetzlichen Vorgaben. Im Jahr 2019 liegt Deutschland mit Feinstaubemissionen (PM 2,5) von 12 µg/m³ im Mittelfeld von Europa. Das unterschreitet zwar den derzeit gültigen EU-Grenzwert von 25 µg/m³, liegt aber deutlich oberhalb der WHO-Empfehlung von 5 µg/m³.

Dabei zeigten die Ergebnisse der multizentrischen ELAPSE-Studie, dass auch bei den niedrigsten gemessenen Feinstaubwerten in Europa die Sterblichkeit bereits erhöht ist. „Wir sehen da keinerlei Schwelle“, so Hoffmann.  Pro 10 µg-Anstieg Feinstaub in der Langzeitbelastung steigt die Sterblichkeit um 12% (global sind es 8%) an. „Das bedeutet - die Auswirkungen von Luftverschmutzung sind in Europa stärker als bislang angenommen.“

 
Gerade die ultrafeinen Partikel werden nicht mehr so gut oder gar nicht gefiltert. Prof. Dr. Barbara Hoffmann
 

Zwar habe die Feinstaubbelastung in den vergangenen 70 Jahren erheblich abgenommen: „Die großen Feinstaubpartikel werden inzwischen recht gut herausgefiltert. Relativ gesehen nimmt aber der kleine Feinstaub und vor allem der ultrafeine Feinstaub zu. Gerade die ultrafeinen Partikel werden nicht mehr so gut oder gar nicht gefiltert“, erklärte Hoffmann.

Dass Ultrafeinstaub (0,1 µm) erst seit 20 Jahren gemessen werden kann - herkömmlicher Feinstaub hingegen seit 60, 70 Jahren – erschwert es, seine langfristigen Effekte auf die Gesundheit zu bestimmen. Während es diverse Langzeitstudien zu den Gesundheitsgefahren durch herkömmlichem Feinstaub gibt, ist das für Ultrafeinstaub noch nicht der Fall. „Für die Kurzzeit-Effekte sind wir schon sehr sicher, dass es auch verheerende Effekte gibt.

Für die Langzeiteffekte kämpfen wir noch mit den methodischen Schwierigkeiten, aber wir sind dabei, diese Probleme zu lösen und in den nächsten 10 Jahren wird die wissenschaftliche Evidenz dazu extrem zunehmen“, so Hoffmann. Wenn die nächste Überarbeitung der WHO-Luftqualitätsrichtlinien anstehe, werde die Evidenzbasis für Empfehlungen zum Ultrafeinstaub wahrscheinlich groß genug sein.

Nicht Hände in den Schoß legen: EU ist dem Vorsorgeprinzip verpflichtet

Auch wenn die Auswirkungen von Ultrafeinstaub derzeit noch untersucht werden: Das sei kein Grund die Hände in den Schoß zu legen und zu warten bis Eindeutigkeit in der Wissenschaft vorliege, sagte Anne Stauffer. Die EU, betonte die Stellvertretende Geschäftsführerin von HEAL, sei dem Vorsorgeprinzip verpflichtet.

 
(Die Grenzwerte sind das) Ergebnis eines politischen Kompromisses. Anne Stauffer
 

Mit den gültigen Grenzwerten in Deutschland, auf EU-Ebene seit 2008 in Kraft, „wird unsere Gesundheit nur sehr unzureichend geschützt“, betonte Stauffer. Schon 2008 seien die Grenzwerte das „Ergebnis eines politischen Kompromisses“ gewesen, die Überarbeitung sei im Hinblick auf den Stand der Forschung „überfällig“. Noch gilt in der EU ein Grenzwert von 25 µg/m³, dabei hatte die WHO bereits 2005 10 µg/m³ empfohlen und seit 2012 für PM 2,5 einen Jahresmittelwert von 5 µg/m³ .

Holzverbrennung – unterschätzte Quelle für Feinstaub

Dr. Anja Behrens, Sprecherin der AG Saubere Luft, KLUG, machte auf eine unterschätzte Quelle für Feinstaub aufmerksam: Die Holzverbrennung. Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) zeigten, dass die Feinstaubemissionen der Größe PM 2,5 (die besonders gefährlich sind, weil sie bis in die Lunge vordringen können) zugenommen haben. Für 2021 stammen 19% dieser Emissionen aus der Holzverbrennung, 19% aus dem Straßenverkehr und 19% aus der Energiegewinnung; hinzu kommen Landwirtschaft, Industrie, Müllverbrennung und weitere Faktoren.

„Kamine und Öfen aber auch Pelletheizungen, die je nach Technik höhere Feinstaubemissionen aufwiesen als Öl- und Gasheizungen, sind die beiden Hauptquellen für Feinstaub aus der Holzverbrennung“, so Behrens. Kamine und Holzöfen liegen im Trend und seit 2010 nimmt die Zahl der Pelletheizungen deutlich zu, nicht zuletzt weil Holz als CO2-neutrale Energiequelle gefördert wird.

 
Die Auswirkungen der Luftverschmutzung und die Kosten der Luftverschmutzung sind inakzeptabel hoch. Anne Stauffer
 

Doch nicht nur Feinstaub ist bei der Holzverbrennung das Problem: Es entstehen auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die krebserregend, erbgutverändernd und fortpflanzungsschädigend sind. „Auch aus Klimaschutzgründen sollte Holz nicht mehr als CO2-neutral eingestuft werden“, sagte Behrens. Bei der Verbrennung von Holz entstehe genauso viel CO2 wie bei der Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas: „Das ist keine klimaschonende Ressource.“

„Die Auswirkungen der Luftverschmutzung und die Kosten der Luftverschmutzung sind inakzeptabel hoch“, sagte Stauffer. HEAL fordert eine ambitionierte Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie, das Schließen von Schlupflöchern (Möglichkeiten, die Tagesgrenzwerte zu überschreiten) und eine vollständige Angleichung mit den Empfehlungen der WHO bereits 2030.

Die EU-Kommission schlägt erst 2050 vor: „In Anbetracht der Krankheitslast und der Risiken ist das unzureichend“, betonte Stauffer. Die bislang vorgeschlagenen Verbesserungen bis 2030 gingen nicht weit genug. Auch Hoffmann wirbt für eine rasche Angleichung der Grenzwerte an die WHO-Empfehlungen: „Der Nutzen der Luftreinhaltung ist um ein Vielfaches höher als ihre Kosten“. Die Expertin sieht große Co-Benefits für Klimaschutz, Energiesicherheit, Biodiversität und Resilienz bei Pandemien.

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