Potenzialbericht

Robotik-Erstanwender in der Nische – eigener Wissensaufbau im Fokus

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In vielen Bereichen hat die Automatisierung mit Robotern längst Einzug gehalten. Welchen positiven Beitrag Robotik auch in Nischen leisten kann, konnte einer der weltweit führenden Hersteller von technischen Hochleistungstextilien für Tiefbau, Agrarwirtschaft, Industrie und Leichtbau, die HUESKER Gruppe, jüngst erfahren. Gemeinsam mit ABB, einem Pionier in der Robotik und Automation, entwickelte HUESKER einen Prototypen, den es nicht von der Stange gibt, der gezielt für die Handhabung und Palettierung schwerer Garnrollen eingesetzt wird – eine tonnenschwere Entlastung für die Mitarbeitenden in der Garnproduktion. Heinz-Georg Richels, Technischer Leiter und Prokurist bei HUESKER, erzählt im Interview mit dem Digitalradar münsterLAND mehr über die Hintergründe.

Herr Richels, aus welchem Grund hat sich Ihr Unternehmen entschieden, sich mit Robotik-Technologien zu beschäftigen?

Industrie 4.0 ist ein Oberbegriff, welcher aus vielen Bausteinen besteht. Ein Baustein ist die Robotik, der an einigen Stellen zur Verbesserung der Produktivität und zur Verbesserung der Ergonomie beiträgt. Die Herausforderung bestand insbesondere darin, eine eigene Lösung zu entwickeln, da es keine Lösung am Markt gab, die wir adaptieren konnten.

Wann haben Sie das Robotik-Projekt gestartet und wie lange hat die Umsetzung gedauert?

Gestartet haben wir das erste Projekt im Januar 2021. Nach ca. acht Monaten haben wir die erste Roboterzelle am Standort in Dülmen in Betrieb genommen. Die Planung der zweiten Zelle ist im August 2021 gestartet und wurde bereits im Februar 2022 abgeschlossen und in Betrieb genommen. Wir haben inzwischen zwei Roboter im Einsatz und die nächsten Projekte schon im Auge.

Wie sind Sie dabei vorgegangen? Was waren die ersten Schritte bei der Umsetzung des Projektes?

Wir haben länger am Markt geschaut, ob es Lösungen gibt, die wir eins zu eins adaptieren könnten. Da das leider nicht der Fall war, haben wir uns entschieden, uns selbst mit der Thematik zu beschäftigen. Wir haben ein Team aus allen Ebenen des Bereiches gegründet, einen Projektleiter benannt und die Ziele definiert – die klassische Projektarbeit eben. Die ersten Schritte waren die genaue Analyse der einzelnen, manuellen Handbewegungen und die Qualifikation und Schulung unserer Mitarbeiter in Bezug auf das Programmieren der Robotik-Software.

Wie sieht die konkrete Robotik-Anwendung aus? Welche Technologie wird dabei eingesetzt?

Die Anwendung haben wir gezielt für die Handhabung und Palettierung schwerer Garnrollen entwickelt. Eine tonnenschwere Entlastung für die Mitarbeiter in der Garnproduktion. Die Roboterzelle entnimmt bei einer Luftverwirbelungsanlage die fertigen Garnspulen von den Spulstellen der Maschine, fixiert das Fadenende, schneidet die Fadenreste ab und palettiert die Spulen. Weiter werden die Spulenhülsen nachgesteckt und auf Zwischenlagen gestapelt. Es wurde ein klassischer 6-Achs-Roboter von dem Hersteller ABB eingesetzt. Im Schnitt nimmt er dem Mitarbeiter rund 2,5 Tonnen pro Tag ab.

Garnrollen können bis zu 15 Kilogramm auf die Waage bringen.

 Gab es im Unternehmen schon im Vorfeld Erfahrungswerte mit der Technologie Robotik?

Nein, das war relatives Neuland für uns. Die Robotik-Anwendung war das erste Automatisierungsprojekt von HUESKER.

Mit welchen Partnern haben Sie zusammengearbeitet und wie verlief die Suche nach diesen?

Unternehmen dieser Art gibt es viele. Uns war wichtig, mit ABB einen namhaften Roboterhersteller zu haben und viel selbst programmieren zu können.

Welche Mehrwerte haben Sie mit dem Projekt erzielt?

Wir haben die manuelle, schwere Arbeit durch Robotik ersetzt, um mehr Freiräume für die Mitarbeiter zu bekommen und diese für hochwertigere Arbeit zu nutzen. Besonders positiv für die Mitarbeiter: Sie müssen lediglich überwachen und sporadisch assistieren, etwa wenn eine fertige Palette abtransportiert, Zwischenlagen aufgefüllt oder Leerhülsen nachgefüllt werden müssen. All diese Aufgaben nehmen nur wenig Zeit in Anspruch und fallen pro Schicht höchstens ein- bis zweimal an. Somit läuft die gesamte Anlage, bis auf diese kurzen Unterbrechungen, nahezu autonom.

 Was waren Herausforderungen oder Hürden bei der Implementierung?

Sicherlich die Umsetzung der vielen kleinen Handgriffe, die der Mensch wie selbstverständlich erledigt, die aber in der automatisierten Umsetzung erst richtig erkannt werden müssen. Menschliche Bewegungen werden oftmals unterschätzt. Es wird unterschätzt, wie detailliert man die Dinge planen muss. Jede Handbewegung, jede Bewegung muss bis ins Kleinste aufgeteilt werden.

Für unsere Anwendung gibt es keine Lösung von der Stange, das müssen wir Schritt für Schritt selber erarbeiten. Bei neuen Anwendungen werden wir wahrscheinlich neue Herausforderungen sehen.

Wie ist das Projekt bei den Mitarbeitern insgesamt angekommen?

Bei den Mitarbeitern ist die Sache sehr gut angekommen, da die Ergonomie sich verbessert hat und das Aufgabenfeld interessanter geworden ist.

Gibt es weitere Pläne oder Ideen im Zusammenhang mit diesem Projekt bzw. der Robotik-Technologie?

Ja, die gibt es. Einen zweiten Roboter haben wir bereits im Februar dieses Jahres installiert. Ein Teil der Palettentransporte wird ab dem Spätsommer 2022 mit fahrerlosen Transportsystemen erledigt. Das ist aber nur der Anfang. Wir planen an vielen Stellen weitere Projekte, um zum einen dem Facharbeitermangel entgegenzuwirken und zum anderen auch die Jobs interessanter zu gestalten.

Heinz-Georg Richels, Technischer Leiter und Prokurist bei HUESKER.

Welchen Ratschlag würden Sie anderen Unternehmen geben, die ebenfalls daran interessiert sind, in Robotik-Technologien zu investieren oder generell Produktionsprozesse zu automatisieren?

Ich glaube, da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Wichtig ist, aus meiner Sicht, so viel wie möglich selbst in der Hand zu halten. Dadurch können Abhängigkeiten gering gehalten werden und bei Änderungen selbst eingegriffen werden.

 Gibt es weitere interessante Digitalisierungsprojekte in Ihrem Unternehmen, die zurzeit vorangetrieben werden?

Sicherlich gibt es da einige Sachen, wie zum Beispiel „predictive maintenance“ im Bereich der Infrastruktur und bei größeren Anlagen, um früh zu erkennen, wo Ausfälle oder Probleme entstehen können. Der gesamte Bereich der Bereitstellung von Daten am Shopfloor ist ein umfangreicher Schritt in der Digitalisierung. Dazu kommen weitere Projekte, wie Smart Building, fahrerlose Transportsysteme bis hin zu KI-Systemen, die komplexe Datenmengen nicht nur verarbeiten, sondern selbstständig optimieren. Auch im kaufmännischen Bereich werden unsere Prozesse und Systeme kontinuierlich digital mit Automatisierungen vorangetrieben.

Herr Richels, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

Bei den Treffen der Robotik Fokusgruppe  gibt es für KMU des produzierenden Gewerbes die Gelegenheit für den intensiven Erfahrungsaustausch untereinander zum Einsatz der Technologie – unabhängig vom aktuellen Kenntnisstand. 

Autor Varvara Leinz

Ahaus


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