"Gnadenlos geduzt": Wie Firmen in München die neue Anrede-Kultur handhaben

Eine Unternehmerin lobt das verbesserte Betriebsklima, eine Bank aus München betont die Augenhöhe zu den Mitarbeitern – alles dank der Anrede. Aber ist das Siezen wirklich auf dem Rückzug?
| Martina Scheffler
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Wer würde da ablehnen, wenn man doch so freundlich gefragt wird, ob man Du sagen möchte? Das Sie verliert im Berufsalltag immer mehr an Bedeutung, ist aber noch nicht ganz verschwunden. Noch nicht, betont ein Experte.
Wer würde da ablehnen, wenn man doch so freundlich gefragt wird, ob man Du sagen möchte? Das Sie verliert im Berufsalltag immer mehr an Bedeutung, ist aber noch nicht ganz verschwunden. Noch nicht, betont ein Experte. © imago

München - Es ist das erste Gespräch, das die AZ-Redakteurin mit Katja Lindo führt. Sie ist Geschäftsführerin des Niederpöckinger Tagungs- und Seminarhotels "La Villa" am Starnberger See. Und sie ist nach eigenem Bekunden "ein großer Duzfreund", das baue Barrieren ab. Also sind sie gleich per Du, Katja und Martina. Man sei dann produktiver und flinker, findet Katja.

So hält sie das mit fast jedem, erzählt sie. Auch im "La Villa" hat sie das gleich eingeführt, als sie vor sechs Jahren dort anfing. Das sei "für manche ein bisserl verrückt" gewesen, die sich zuvor jahrzehntelang gesiezt hätten, doch es habe sich positiv aufs Betriebsklima ausgewirkt.

Das Du für alle – außer Anwälte: "Da wird eine Barriere bleiben"

Im Juni gab in einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Jobbörse "Jobware" nur noch knapp jeder dritte bis vierte Deutsche an, Wert auf das Sie zu legen. Ein drastischer Rückgang: Vor fünf Jahren waren es demnach noch zwei von drei. In Stellenanzeigen möchten immerhin noch 27 Prozent der Männer und 31 Prozent der Frauen gesiezt werden.

Generell wünschen sich aber nur 19 Prozent der 18- bis 34-Jährigen und 28 Prozent der 35- bis 49-Jährigen, mit Sie angesprochen zu werden. Bringen Katja Lindo die Mitarbeiter nun weniger Respekt ein? "Im Gegenteil!" Der Schritt habe ihr viel Respekt eingebracht. "Das hat etwas mit menschlichem Zusammensein zu tun." Auch auf Konferenzen oder Kongressen fragt die Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Starnberg und FDP-Politikerin meist: "Können wir uns alle duzen?" Grenzen sieht Lindo bei Anwälten: "Da wird eine Barriere bleiben."

"Das ist doch Unsinn": Warum in Geschäftsbeziehungen mehr geduzt werden sollte

Auch im Bildungsbereich, in dem sich oft die etwas hybride Form "Du, Frau Müller" eingebürgert habe, werde es wohl beim generellen Siezen bleiben. Dabei würde es der Geschäftsführerin zufolge helfen, die partnerschaftlichen Bemühungen um eine bessere Bildung zu unterstreichen. "In der Gesellschaft ist viel Gegeneinander."

Und, so fragt sie: Was solle schiefgehen? "Machen wir dann keine Geschäfte mehr miteinander, weil wir per Du sind, oder haut der mich übers Ohr? Das ist doch Unsinn." In den USA, wo Lindo einige Zeit lebte, sei das Du gang und gäbe. Das deutsche Sie werde akzeptiert, aber es stehe auch für das Stereotyp des etwas spießigen, distanzierten Deutschen.

Katja Lindo, Geschäftsführerin des Niederpöckinger Tagungs- und Seminarhotels "La Villa" am Starnberger See, ist eine Anhängerin des Duzens.
Katja Lindo, Geschäftsführerin des Niederpöckinger Tagungs- und Seminarhotels "La Villa" am Starnberger See, ist eine Anhängerin des Duzens. © La Villa/Manu Photo and Design

Die Hypovereinsbank hat im vergangenen Herbst in der internen Kommunikation das Duzen eingeführt. Das bedeutet, dass die Geschäftsleitung etwa in E-Mails an die Mitarbeiter diese duzt. Den Mitarbeitern ist freigestellt, ob sie ebenfalls das Du verwenden wollen.

Bei der Hypovereinsbank herrscht eine freiwillige "Duz-Kultur"

"Als Bank sind wir mitten im Kulturwandel mit neuen Denk- und Verhaltensweisen. Jeden Tag aufs Neue stellen wir dabei unsere Werte im Umgang mit Kollegen und Kunden unter Beweis", nennt Personalchef Christoph Auerbach der AZ als Beweggrund. "So ein Wandel braucht immer wieder neue Anstöße. Unsere freiwillige 'Duz-Kultur' ist nur ein Beispiel dafür. Sie bewirkt, dass alle Mitarbeitenden, unabhängig von Alter oder Hierarchie, einfacher und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren."

Einen Druck von oben, das Du zu verwenden, gebe es aber "absolut nicht", sagt eine Unternehmenssprecherin der AZ. Das Duzen sei freiwillig und könne etwa in der E-Mail-Signatur durch den Hashtag "gernperDu" oder durch einen roten Rahmen um das Profilbild angezeigt werden. Der Vorstand wolle auf Augenhöhe kommunizieren, dabei solle aber die professionelle Distanz erhalten werden.

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"Duz-Kultur kommt richtig gut an", berichtet Personalchef Christoph Auerbach

Die Regelung habe einiges vereinfacht, so die Sprecherin weiter. In vielen Bereichen sei zuvor bereits geduzt worden, in anderen nicht, und wer keine Führungsposition hat, traue sich vielleicht ansonsten nicht, das Du anzubieten. Auch bei Stellenausschreibungen nutzt die Hypovereinsbank das Du.

In der sonstigen externen Kommunikation, also mit Kunden, sei das aber nicht vorgesehen. Wie viele Mitarbeiter sich für das Du entschieden haben, erfasst die Bank nicht. Es gab aber überwiegend positive Rückmeldungen zu diesem Thema, hieß es. "Das kommt richtig gut an", ist Personalchef Auerbach sicher.

Christoph Auerbach, Personalchef derHypovereinsbank, sieht die freiwillige Duzkultur bei der Bank als Zeichen für Augenhöhe.
Christoph Auerbach, Personalchef derHypovereinsbank, sieht die freiwillige Duzkultur bei der Bank als Zeichen für Augenhöhe. © Hypovereinsbank

Kollegen wollen Duzen, Kunden wollen Siezen

Ende 2020 ergab eine Studie der Hochschule Osnabrück, dass eine Mehrheit der Befragten es bevorzugt, wenn keine Anredekultur vorgegeben ist. Für eine Duzkultur entschieden sich auf allen Hierarchieebenen mehr Menschen als für eine Siezkultur – unter Azubis war der Pro-Sie Anteil höher als unter Führungskräften.

Anders sieht es im Umgang mit Kunden aus: Ein vorgeschriebenes Du denen gegenüber lehnte laut Studie die Mehrheit ab. Das verbindliche Siezen schnitt besser ab, hatte aber auch eine geringe Zustimmung – die Befragten wollten lieber im Einzelfall entscheiden, so die Autoren. Ein Du in Stellenanzeigen führte dazu, dass das entsprechende Unternehmen als moderner bewertet wurde und die Mitarbeiter als freundlicher. Bei einem Sie wurde eher Leistungsstärke der Firma vermutet.

"Es gibt kein richtig oder falsch", findet vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt

Mit dem Sie werde für 61 Prozent aller Befragten "Respekt, Höflichkeit und Zurückhaltung" ausgedrückt, heißt es in einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Appinio aus Hamburg aus dem Jahr 2019.

Ein gewisser Erfolg für das Sie: Nur 15 Prozent empfanden es als verstaubt. Generell positiv wurde auch das ungefragte Du nur von 20 Prozent gesehen. Den Chef siezten 38 Prozent der befragten Arbeitnehmer. 32 Prozent duzten ihn. Von diesen würden aber 22 Prozent gerne zum Sie zurückkehren.

vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt.
vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt. © Sven Hoppe/dpa/Archivbild

"Ob ein flächendeckendes Duzen in die eigene Kultur passt, muss jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden. Hier gibt es kein richtig oder falsch", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, der AZ.

"Zu jungen Start-up-Unternehmen mit sehr flachen Hierarchien mag das Duzen besser passen als zu anderen. Gleichzeitig ist klar: Ein vertrauensvoller Umgang, gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung ist nicht vom Duzen oder Siezen abhängig. Auch beim Sie können Mitarbeiter ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl entwickeln."

Professor Michael Kastner: "Das Duzen kann leicht übergriffig werden"

Dennoch: Das Duzen verbreite sich immer mehr, sagt Michael Kastner, Mediziner, Psychologe und Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke und Amerang, der AZ. Er habe sich als Professor mit Mitarbeitern immer geduzt. "Mit meinen Studenten nie."

Denn: "In unserer Kultur kann Duzen leicht übergriffig werden." Duze er etwa als Professor eine 20-jährige Studentin, sei das für diese schwer abzulehnen. "In unserer Sprache ist Duzen oder Siezen ja eine Frage der sozialen Distanz."

Mit manchen Menschen möge man sich nicht duzen. Wenn eine allgemeine Duzkultur da sei, wolle man zwar dazugehören, verliere aber die Möglichkeit der sozialen Distanzierung.

Wer wem das Du anbietet – traditionell Ältere den Jüngeren und die Dame dem Herrn –, kümmere junge Menschen heute weniger. Duzen wollten eher die Jüngeren, "Handfesteren" wie Handwerker. Auch Regionen spielten eine Rolle: In Südbayern etwa werde "gnadenlos geduzt", sagt Kastner – wobei auch hier mittels "Grüß Gott" und "Servus" differenziert werde. Diese Differenzierung werde aber verschwinden, glaubt der Professor: "Irgendwann duzen sich alle" – dahin gehe der Trend, und das sei auch eine Frage der Internationalisierung. "Schade eigentlich."

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  • Gelegenheitsleserin am 28.08.2023 11:41 Uhr / Bewertung:

    "Man sei dann produktiver und flinker".
    Das leuchtet mir nicht ein. Wie produktiv und flink wir arbeiten, hängt doch nicht davon ab, ob wir die Kollegen und Kolleginnen duzen oder siezen!
    Ich bin froh, dass es bei meinem Arbeitgeber dahingehend keine Vorgaben gibt, denn ich möchte gerne selbst entscheiden, ob ich mich mit jemanden sieze oder duze.

  • Witwe Bolte am 26.08.2023 14:27 Uhr / Bewertung:

    Der Drogeriegigant dm duzt neuerdings in sämtlichen Werbeaktionen, auch im Radio, seine Kunden.
    Vielleicht sollte man im Gegenzug das dm-Verkaufspersonal auch duzen.
    Ein 75jähriger Mann fragt die 40jährige Kassiererin "kann ich bei dir meine Paybackpunkte einlösen?" oder die Regaleinräumerin: Weisst du, wo hier die Kondome liegen und welche kannst du mir empfehlen?" 🤣

  • Der wahre tscharlie am 26.08.2023 15:12 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Jetzt wirds aber langsam absurd grinsen
    Seit Jahren wird in der Werbung geduzt.
    Was habt ihr eigentlich für ein Problem damit?
    Ist euer Ego so klein, dass ihr alle gesiezt werden wollt, damit euer Ego wenigstens durch das Siezen etwas wächst??
    Oder seid ihr alle auf so einem uralten Erziehungstripp mit Siezen, Diener und Hofknicks?