DIE ZEIT: Frau Hoven, Frau Hahn, Sie sind als Juristinnen gemeinsam in einer aufwendigen Studie erstmals der Frage nachgegangen, wie oft Staatsanwälte bei einem Verdacht auf Tierquälerei in der Landwirtschaft überhaupt tätig werden. Wie kamen Sie auf das Thema?

Elisa Hoven: Aus der Wissenschaft und aus dem Deutschen Ethikrat hört man den Vorwurf, dass beim Tierschutz das Strafrecht nicht angewendet werde. Auf dem Papier gibt es Gesetze, die in der Praxis angeblich kaum eine Rolle spielen.

ZEIT: Ist an dem Vorwurf etwas dran?

Johanna Hahn: Ja. Die meisten Ermittlungsverfahren werden eingestellt. Bei den 150 Fällen, deren Akten wir uns angesehen haben, sind nur elf Verurteilungen herausgekommen, davon zehn Geldstrafen. In einem einzigen Fall wurde jemand zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Ermittlungen verlaufen im Sand. Das gilt übrigens für kleine Betriebe genauso wie für große. Es geht nicht allein um Massentierhaltung.

ZEIT: Welche Staatsanwaltschaften meinen Sie?

Hoven: In Deutschland gibt es vereinzelt Staatsanwälte, die für Tierschutz-Strafsachen in bestimmten Regionen zuständig sind, aber nur eine einzige Zentralstelle, die Staatsanwaltschaft Oldenburg. Sie hat sich um ganz Niedersachsen zu kümmern.

ZEIT: In Niedersachsen haben sich besonders viele Betriebe angesiedelt, die Nutztiere verwerten: Schlachthöfe, Mäster, Tiertransportfirmen. Meist geht es um Schweine und Geflügel.

Hahn: Genau. Wir haben uns aber auch mit den Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Münster beschäftigt. In der Region um Münster gibt es viele Großbetriebe, aber keine zentralisierte Staatsanwaltschaft; in der Region Stuttgart gibt es hingegen viele Kleinbetriebe. Dadurch können wir Vergleiche mit Niedersachsen ziehen. Ganz am Anfang haben wir uns Akten der Tierschutzorganisation Peta angesehen, wir haben uns damit nicht zufriedengegeben. Diese Akten hätten ja vorsortiert sein können, eine verzerrte Wahrnehmung wollten wir ausschließen. Also sind wir zu den Ermittlungsbehörden gefahren und haben uns auch dort die Akten geben lassen. Wir haben mit Staatsanwälten Interviews geführt, mit Amtstierärzten, Tierschutzbeauftragten und anderen Insidern der Branche.

ZEIT: Welche Verstöße haben Sie entdeckt?

Hoven: Wir haben Verstöße auf allen Ebenen beobachtet, bei der Haltung, beim Transport, bei der Schlachtung. Zum Beispiel sind vor einiger Zeit in Bayern 24 Rinder verhungert. Sie wurden nur unzureichend versorgt, ein angemessenes, ausreichendes Futter war für die Rinder nicht vorhanden. Die Tiere waren stark abgemagert, die Rippen und Beckenknochen waren sehr deutlich zu sehen.

Hahn: Meist sind es Schweine und Geflügel, die in Betrieben verhungern. Das ist für die Staatsanwaltschaft überhaupt kein Grund, irgendwas zu ermitteln, weil ein üblicher Verlust schon eingerechnet wird. Fünf Prozent der Hähnchen dürfen zugrunde gehen, das ist die Faustformel. Wird diese Rate nicht überschritten, wird nicht ermittelt. Das ist der Kollateralschaden, den man hinnimmt.

Hoven: Das berührt einen zentralen Punkt. Man muss sehen, dass sehr viele Fälle gar nicht bei den Staatsanwälten landen, weil keine Ermittlungen angeschoben werden. Das meiste erledigt sich vorher still von selbst, es wird kein Handlungsbedarf gesehen. Dabei ist vieles in der Nutztierhaltung nicht nur grausam, sondern auch strafbar.

ZEIT: Was zum Beispiel?

Hahn: Die ganzjährige Anbindehaltung bei Rindern. Diese Tiere stehen ihr Leben lang auf einer Fläche, die so groß ist wie eine Tür. Sie können sich nicht umdrehen, nicht einmal kratzen.

ZEIT: Wie erklärt sich die Ignoranz der Behörden?

Hoven: Einmal wurde uns das so begründet: Man könne den Beschuldigten vernehmen, es sei aber davon auszugehen, dass der dies und jenes zur Verteidigung sagen oder sich nicht äußern werde. Dadurch falle ein hinreichender Tatverdacht weg. Also besser gar keine Vernehmung und das Verfahren einstellen.