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Agent Orange – ein Entlaubungsgift als Kriegswaffe

Foto: Pictures from History / ullstein bild

Agent-Orange-Prozess Eine für alle gegen die Chemiegiganten

Im Vietnamkrieg geriet Tran To Nga in Agent-Orange-Wolken. Mit 78 Jahren klagt sie nun in Frankreich gegen Hersteller des hochgiftigen Dioxins – der Prozess könnte für Opfer wie Firmen weitreichende Folgen haben.

Tran To Nga sitzt in ihrer bescheidenen Wohnung in Évry, einem südlichen Vorort von Paris. An diesem Samstag regnet es in Strömen. Die 78-Jährige hat Tee eingeschenkt und wärmt sich die Hände an einem Elektroheizkörper auf Rollen, den sie nah herangezogen hat. Die Buddha-Figuren im Regal und ein Strohhut erinnern an ihr Geburtsland Vietnam. Sie ist aufgeregt und ungeduldig, denn nun steht der Tag bevor, für den sie seit Jahren gekämpft hat.

Am Montag, 25. Januar, wird sie ab neun Uhr morgens im großen Saal des Landgerichts von Évry den Anwälten 14 amerikanischer Chemieunternehmen gegenübertreten, darunter Dow Chemical und Monsanto, das heute der deutschen Bayer AG gehört . Vor sechs Jahren hat sie die Klage eingereicht. Am Montag sollen die Plädoyers beginnen und den ganzen Tag andauern. Tran To Nga will die Firmen dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie im Vietnamkrieg Millionen Liter des Herbizids Agent Orange an die US-Armee verkauft hatten.

Das Pflanzenvernichtungsmittel wurde von der amerikanischen Luftwaffe, zunächst auf Anordnung von Präsident John F. Kennedy, im Rahmen der »Operation Ranch Hand« ab 1962 großflächig im Vietnamkrieg eingesetzt. Es sollte dazu dienen, den Dschungel zu entlauben, somit der Guerillabewegung Vietcong die Deckung zu nehmen und ihre Ernten zu vernichten.

Zu den eingesetzten Mengen gibt es unterschiedliche Angaben. Insgesamt sollen rund 80 Millionen Liter Entlaubungsmittel über mehr als zwei Millionen Hektar Land versprüht worden sein, davon mindestens 46 Millionen Liter Agent Orange. Der Name kommt von den orangefarbenen Streifen, mit denen die Fässer gekennzeichnet waren. Erst später wurde bekannt, dass es Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) enthält, den giftigsten Vertreter der Dioxine.

Der langfristige Kontakt mit diesem Dioxin wird in Zusammenhang mit mehreren Krebsarten gebracht. Die Bilder von missgebildeten Kindern mit fehlenden Gliedmaßen, mit Tumoren im Gesicht und am Körper gingen um die Welt und sind schwer erträglich. Millionen von Vietnamesen leiden bis heute an den Spätfolgen. Nach Sammelklagen hatten betroffene US-Soldaten ab den Achtzigerjahren im Zuge eines außergerichtlichen Vergleichs Entschädigungen von Herstellerfirmen erhalten.

»Ich habe schon viel zu lange auf diesen Tag gewartet«

Der Prozess der kleinen alten Frau gegen die Chemiegiganten wird von den französischen Medien und ihren Anwälten schon jetzt als historisch bezeichnet. Dabei ist der Ausgang dieses ungleichen Kampfes ungewiss. Sollte das Gericht zu Schuldsprüchen gelangen, wäre es das erste Mal in der Geschichte, dass ein vietnamesisches Opfer entschädigt wird.

»Ich habe schon viel zu lange auf diesen Tag gewartet«, sagt Tran. Bereits 2014 erstattete sie Anzeige, seither haben die Firmen das Verfahren hinausgezögert. Der Autor und Künstler André Bouny hatte sie schon 2009 darauf hingewiesen, dass sie als Französin Klage gegen ein ausländisches Unternehmen einreichen könne, und Tran mit dem Anwalt William Bourdon zusammengebracht.

Seither kämpften sie »wie die drei Musketiere« für das gemeinsame Ziel. Das Trio besteht bis heute, hat aber längst Beistand: Drei Anwälte vertreten Tran To Nga seit Jahren unentgeltlich. Ebenso wird sie von vietnamesischen Opferverbänden unterstützt, die alle Hoffnung auf sie setzen.

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Agent Orange – ein Entlaubungsgift als Kriegswaffe

Foto: Pictures from History / ullstein bild

Tran To Nga habe sich mit der Klage gegen die Chemiegiganten eine schwere Bürde aufgelastet, sagt André Bouny im Gespräch mit dem SPIEGEL. Auf den ersten Blick wirke sie robust, ihre gesundheitlichen Probleme seien nach außen hin nicht sichtbar. Dabei ist sie seit Jahren schwer krank: Sie leidet an der Blutkrankheit Alpha-Thalassämie, an Chlorakne sowie Fallot-Tetralogie, eine Herzfehlbildung. Unter ihrer Haut haben sich Knoten gebildet, die auch in ihren inneren Organen wuchern.

Sie sammelte Beweise gegen die Firmen. Denn sie muss belegen, dass ihre Krankheiten kausal auf Agent Orange zurückgehen. Bis heute hat sie erhöhte Dioxinwerte im Blut. Auch ihre 1971 und 1974 geborenen Töchter leiden unter den Folgen des Giftes. Eine von ihnen leidet an derselben Blutkrankeit wie sie, ebenso ihre beiden Enkeltöchter; die ältere Tochter hat schweres Asthma.

Schon als Kind sei sie zum Widerstand erzogen worden, erzählt Tran To Nga. Ihre Eltern und Großeltern hatten sich im Indochinakrieg gegen die Franzosen aufgelehnt. Im Vietnamkrieg schloss sie sich als junge Frau dem Kampf gegen die Amerikaner an. Sie war vier Monate lang im Dschungel auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad unterwegs, wo Waffen und Nahrungsmittel für die kommunistischen Widerstandskämpfer transportiert wurden. Sie habe keine Waffen getragen und sei als Lehrerin und Journalistin tätig gewesen, sagt Tran.

»Das weiße Puder verwandelte sich in eine klebrige Flüssigkeit, die meinen Körper umschloss«

An ihren ersten Kontakt mit Agent Orange erinnert sie sich noch genau. Im Dezember 1966 war sie noch unerfahren im Krieg und hatte aus Neugier einen Unterschlupf verlassen, als mehrere Flugzeuge im Tiefflug ein weißliches Puder versprühten: »Das Puder verwandelte sich in eine klebrige Flüssigkeit, die meinen Körper umschloss. Ich musste husten und hatte das Gefühl, zu ersticken.« Ihr sei klar gewesen, dass es sich um ein Unkrautvernichtungsmittel handelte. Sie habe es sofort abgewaschen, aber damals nicht gewusst, wie gefährlich es für Menschen war.

Im Juni 1968 wurde ihre erste Tochter Viêt Hai geboren und starb nach wenigen Monaten. Sie war ein hübsches Baby und hatte bei der Geburt drei Kilogramm gewogen, dann aber kaum zugenommen. Tran konnte sie nicht an sich drücken, weil ihre Tochter Atembeschwerden hatte, sie verlor Hautfetzen beim Wechseln der Kleider und der Windeln. Lange dachte die Mutter, dass ihr Kind an den schwierigen Lebensbedingungen im Dschungel starb. Erst Jahre später stellte sie einen Zusammenhang mit Agent Orange her.

Tran To Nga habe von Beginn an gewusst, dass es ein schwieriger und komplizierter Prozess gegen mächtige Gegner wird, sagt André Bouny. »Jedes einzelne dieser Unternehmen hat einen Jahresumsatz, der das Bruttoinlandsprodukt Vietnams übersteigt.«

Den Richtern können sie ein internes Dokument von Dow Chemical aus dem Jahr 1965 vorlegen. Es beweise, dass die Firma wusste, wie gefährlich Agent Orange für den menschlichen Organismus ist, so der Autor. Wissentlich habe das Unternehmen Informationen zurückgehalten, um sich die lukrativen Militäraufträge zu sichern.

»Ich habe für diese Unternehmen nicht einmal das Gewicht eines Sandkorns«

Eine Verurteilung der Herstellerfirmen in Frankreich wäre nach Auffassung von Bouny auch politisch delikat, weil der Fall weit über eine etwaige Entschädigung von Tran To Nga hinausgehe – denn nach ihr könnten sich noch Millionen weitere Opfer melden.

»Ich habe für diese Unternehmen nicht einmal das Gewicht eines Sandkorns«, sagt Tran To Nga. Sie wisse, dass ihr Kampf nach den Plädoyers am Montag noch nicht zu Ende sein werde. Bis zur Entscheidung der Richter könne es noch Wochen oder Monate dauern, und bei einem Schuldspruch werde es auf jeden Fall zu einem Einspruch kommen. Dann wird sie abermals medizinische Gutachten nachreichen müssen, die wiederum von Experten beider Seiten geprüft werden müssten. Die couragierte alte Dame ist auf alles gefasst.

Tran deutet auf ein Foto aus ihrem Familienalbum. Es zeigt sie als junge Frau mit langen Zöpfen in Vietnam. Zum Spaß hatte sie sich einen amerikanischen Helm aufgesetzt. Heute sei sie immer noch dieselbe Person wie die 26-Jährige auf dem Foto; im Krieg habe sie selbst unter Folter nie ihre Mitstreiter verraten.

Egal wie die Richter entscheiden werden und wie lange der Rechtsstreit noch dauert: Aufgeben will Tran To Nga auf keinen Fall. Sie müsse ständig an die vielen Opfer von Agent Orange denken, die nicht vor Gericht ziehen können: »Ich darf sie nicht enttäuschen.«