"Agent Orange"-Opfer verklagt Monsanto

Ihr letzter Kampf gegen die Vergifter

05:52 Minuten
Die aus Vietnam stammende Französin Tran To Nga führt wegen ihrer Vergiftung durch Chemikalien einen Prozess gegen den US-Konzern Monsanto.
"Die weiße Wolke hüllte mich ein", erinnert sich Tran To Nga an den US-Angriff mit der Chemikalie Agent Orange im Jahr 1966. Nun prozessiert sie in Frankreich gegen die Hersteller des Mittels. © Deutschlandradio/Christiane Kaess
Von Christiane Kaess · 25.01.2021
Audio herunterladen
Die 79-jährige Französin Tran To Nga hat Monsanto und 13 weitere Chemiefirmen verklagt. Sie wurde in Vietnam als junge Frau durch das Entlaubungsmittel Agent Orange vergiftet. Nun verlangt sie Entschädigung für sich und ihre Familie.
Man sieht Tran To Nga nicht an, dass sie schon ihr ganzes Leben lang eine Kämpferin ist. Die zierliche Frau steht in ihrer kleinen Küche, schick gekleidet in einem schwarz-weiß karierten Kostüm, die grauen langen Haare mit einem schwarzen Band zurückgebunden.
Sie kramt grüne Teeblätter aus einem Plastikbeutel. Während das Teewasser zu kochen beginnt, erzählt sie von ihrer Kindheit in Vietnam zu Zeiten des Indochina-Krieges. Sie erlebte ihn in einer Familie im Widerstand gegen die französische Kolonialmacht:
"Meine Mutter hat mir kleine Botschaften gegeben, zusammengerollt wie Zigaretten. Sie flüsterte mir zu, wem ich es bringen sollte und sagte: 'Sei vorsichtig, sag niemandem etwas davon. Wenn man dich erwischt, ist das gefährlich für dich und für mich.' Als kleines Kind und wie man da denkt habe ich mich sehr wichtig gefühlt."
Schon damals sei sie ein Bindeglied gewesen zwischen ihrer Mutter und anderen Widerstandskämpfern, sagt die 79-Jährige, und bis heute sei sie es geblieben – jetzt für die Opfer von Agent Orange. Mit 22 Jahren ging Tran To Nga in die Wälder, wo dann im Vietnamkrieg gegen die Amerikaner gekämpft wurde.
Sie gehörte zu einer Gruppe von Lehrern. Tausend Kilometer schlug sie sie sich mit ihnen vom Norden des Landes nach Süden in die so genannten befreiten Zonen durch, um dort vietnamesische Kinder zu unterrichten. Mehr als 20 Kilo schleppte jeder mit sich. Es fehlte an allem, sagt Tran, auch an Nahrung. Um sie herum wurde bombardiert. Aber sie habe weder Angst noch Zweifel gehabt, erzählt die ehemalige Lehrerin. Aus ihrer Sicht war ihr Engagement für einen guten Zweck.
Zu ihrem Schutz hatten die Partisanen unterirdische Verstecke: "Als ich dort einmal war, habe ich Flugzeuge gehört, die uns einkreisten. Aus Neugier bin ich aus meinem Versteck gegangen. Ich sah die Flugzeuge davonfliegen. Sie ließen eine weiße Wolke hinter sich. Diese Wolke kam sehr schnell herunter und wurde zu einer klebrigen Flüssigkeit. Sie hüllte mich ein. Ich konnte nicht mehr atmen, und es juckte überall."

Das Baby konnte nicht richtig atmen

Ihre Mutter, die bei dem Angriff dabei war, rief, sie solle sich schnell waschen. Man wusste, dass die US-Truppen chemische Entlaubungsmittel einsetzten. Danach hatte Tran erst einmal keine größeren Beschwerden. Der Zwischenfall spielte für sie zunächst keine Rolle mehr. Zu viel, so sagt sie, passierte in diesen Kriegstagen. Und sie dachte auch nicht an die Vergiftung, als sie ihre erste Tochter 1968 im Dschungel zur Welt brachte.
"Sie war wie eine kleine Puppe, sehr süß. Aber nach drei Tagen wurde sie krank. Ihre Haut löste sich ab, sie wurde ganz gelb und sie konnte nicht richtig atmen. Ich wusste nicht, warum."
Tran To Nga schmuggelte ihre Tochter ins damalige Saigon, wo die US-Truppen stationiert waren. Sie hoffte, eine internationale Hilfsorganisation könne das Kind behandeln. Kurz vor der Stadtgrenze übergab sie das Baby einem Agenten ihrer Bewegung, der es zu ihrer Großmutter brachte. Aber die Kleine starb mit 17 Monaten.
Tran To Ngas erste Tochter starb vermutlich an den Folgen des Einsatzes von Agent Orange.
Tran To Ngas erste Tochter starb vermutlich an den Folgen des Einsatzes von Agent Orange.© Deutschlandradio/Tran To Nga
"Bis zum heutigen Tag gibt es eine Szene, die nie aus meinem Herzen verschwunden ist und die ich immer noch vor mir sehe: Als ich meine Tochter zum letzten Mal gefüttert habe, bevor ich sie verabschieden musste, liefen Tränen aus meinen Augen. Sie hat mich angesehen. Dann hat sie sich weggedreht und angefangen zu weinen."
Später wurde Tran selbst nach Saigon geschickt, um dort im Untergrund aktiv zu sein. Sie wurde verhaftet, gefoltert und brachte im Gefängnis eine weitere Tochter zur Welt. Im April 1975, als mit dem Fall von Saigon der Vietnamkrieg endete, wurden beide befreit.
Heute hat Tran To Nga zwei erwachsene Töchter. Beide führen ein eigenständiges Leben und haben ihre eigenen Familien. Aber sie leiden ebenso unter den Auswirkungen von Agent Orange wie Tran selbst. Deformation der Wirbelsäule, Herzfehler, Asthma, Diabetes oder Krebs – die Liste der Krankheiten in der Familie ist lang.

Ein deutsches Labor bestätigt die Vergiftung

Doch erst 2008 als Tran schon regelmäßig zwischen Frankreich und Vietnam pendelte, kam sie auf die Idee, dass all das eine Folge von Agent Orange ist. Im Rahmen ihres sozialen Engagements begegnete sie damals Opfern des Entlaubungsmittels in Vietnam und stellte fest, dass sie die gleichen Leiden hatte. Sicher konnte sie sich erst sein, als ein deutsches Speziallabor ihre Blutproben ausgewertet hat.
Tran zieht einen Aktenordner aus dem Schrank. Schwarz auf weiß ist auf einem Dokument die Vergiftung bestätigt. Nur sie könne diesen Kampf für die Opfer führen, erklärt Tran. Denn nur in Frankreich gibt es ein entsprechendes Gesetz, die Hersteller von Agent Orange vor Gericht zu bringen. Um sie anzuklagen, muss man selbst von Agent Orange betroffen sein und die französische Staatsbürgerschaft haben.
Tran To Nga nennt das Gerichtsverfahren ihren letzten Kampf. Und selbst wenn sie ihn juristisch nicht gewinnen sollte, so resümiert sie:
"Monsanto und die amerikanischen Firmen haben nie auf irgendeine Klage zu Agent Orange reagiert. Aber bei der Klage einer einzigen alten Frau wie mir haben sie geantwortet, und sie haben sich vor dem Gericht präsentiert. Das ist schon ein erster Sieg."
Mehr zum Thema